Interview with Shirin Friedhoff for Monopol
Interview with Stella Ammar for Cercle Magazin
Text by Anna Zika
Text by Daniel Neugebauer
Text by Carine Dolek
Text by Caryn Coleman
Interview with Nadine Ethner

Der Fotograf Alexander Gehring aus Berlin arbeitet an der Schnittstelle von analoger zu digitaler Fotografie. Gerade sind Bilder von ihm in der Ausstellung “Analog Total” mit über 20 anderen Positionen im Grassi-Museum in Leipzig zu sehen. Seine teils morbiden Werke gehen auf die aufwendige Technik der Laborentwicklung zurück. Wir haben mit ihm über das Geheimnis der Dunkelkammer, die Aura analoger Fotografie und ein mögliches Revival der Technik gesprochen. Sind seine analogen Fotografien ein Abschied von einem Medium oder auch eine Strömung der Zukunft?


Herr Gehring, wie sind Sie zur Fotografie gekommen?
Tatsächlich durch einen Zufall. Ich hatte das Glück, nicht zum Wehrdienst zu müssen, wusste aber stattdessen nicht, was ich anderes tun sollte. Eine Freundin hat mir damals den Tipp gegeben, mich bei einem Fotografen zu melden, der einen Praktikanten suchte. Daraufhin habe ich zweieinhalb Jahre bei ihm in Bielefeld, wo ich auch geboren bin, gearbeitet und mich dann für ein Fotografie-Studium an der Fachhochschule Bielefeld entschieden.


Wie wurde Ihr Fotografendasein dann professionell?
Im Laufe des Studiums. Ich habe viele Künstler und Künstlerinnen in dieser Zeit kennenlernen können. Besonders meine Professorin Katharina Bosse hat mich sehr geprägt, die als Künstlerin und angewandte Fotografin arbeitet. Sie ist ein Vorbild für mich. Genauso wie sie arbeite auch ich angewandt sowie künstlerisch. Das spielt sich getrennt voneinander ab. Diese Arbeitsweise entwickelte sich während des Studiums. Zum einen hatte ich damals schon Magazin-Jobs gemacht und parallel dazu meine Arbeiten in Ausstellungen gezeigt. So hat sich meine zweigleisige Arbeit entwickelt. Damit fahre ich immer noch und versuche, in beides gleich viel Zeit zu investieren.


War diese “Zweigleisigkeit” je ein Problem?
Es ist nicht selbstverständlich, dass man beides praktizieren kann. Manchmal habe ich das Gefühl, Magazine, Kuratorinnen und Kuratoren wundern sich gleichermaßen: “Was macht der jetzt genau?”. Aber wie gesagt, bis jetzt musste ich mich nicht limitieren.


In der Ausstellung “Analog total. Fotografie heute” im Grassi Museum Leipzig sind auch Werke von Ihnen zu sehen. Die Serie “The Alchemy of Colour” bringt fotografische und alchemistische Prozesse in einen Zusammenhang. Sie fotografieren Skulpturen und Gegenstände, experimentieren in der Dunkelkammer mit Licht und Farbe und printen die Werke im Labor auf Fotopapier. Eine ungewöhnliche Arbeitsweise.
Meiner Generation von Studierenden wurde die digitale und analoge Technik gelehrt. Für die meisten in meinem Studiengang wurde das analoge Fotografieren irgendwann obsolet und die digitale Fotografie zur ständigen Praxis. Ich bin bei der analogen Fotografie “hängengeblieben”, weil ich den Prozess sehr schätze – besonders das Arbeiten in der Dunkelkammer. Dieser Raum, der eigens dafür da ist, um Bilder entstehen zu lassen und um an diesen zu arbeiten. Klar, an einem Bildschirm kann man auch mit Bildern arbeiten, das hat aber eine andere Atmosphäre. Ins Labor zu gehen und dort die Zeit im Dunklen zu verbringen, hat den Effekt, dass man sich auf die Arbeit mit den Bildern anders, vielleicht sogar intensiver einlässt.


Ist auch das analoge Ergebnis für Sie anders?
Gerade zu der Zeit, als die digitale Fotografie angefangen hat, sich gegenüber der analogen Fotografie durchzusetzen, hatten sich meiner Meinung nach unsere Augen gar nicht richtig an das digitale Bild gewöhnt. Es hat sich irgendwie falsch angefühlt. In ein analoges Bild konnte ich mich sofort hineinfühlen. Dies hat sich sicherlich in den letzten Jahren geändert und wir haben uns so langsam an das digitale Bild gewöhnt, trotzdem traue ich dem Prozess des analogen Bildes immer noch mehr als dem des digitalen, besonders in meinen künstlerischen Arbeiten.


Was hat Sie zu “The Alchemy of Colour” inspiriert?
Ich mag die Idee des Alchemisten, der Alchimistin, der oder die im Labor arbeitet und auf der Suche ist nach einem Abbild – einem Surrogat – von der Welt. Früher wurde zum Beispiel in alchemistischen Laboren versucht, Gold zu imitieren, also unedles Material in ein edles zu verwandeln. Es war ein Versuch, eine Replik von Dingen aus der Welt herzustellen. Ähnliches macht die Fotografie – sie produziert ein Abbild von der Realität, ohne diese in Gänze zu erreichen. Dieses Transformation geschieht, damals wie heute, mit Hilfe von chemischen Prozessen, die im wahrsten Sinne des Wortes im “Dunklen” stattfinden. Dazu kommt, dass die Technik der analogen Laborarbeit immer weniger Menschen beherrschen. Das macht sie zu einer modernen Geheimwissenschaft.


Wie kommen Sie auf Ihre Motive?
Auch hier habe ich mich von alchemistischen Symboltraditionen inspirieren lassen. Sie sind zumeist verschlüsselt und nicht für jeden sofort durchschaubar. Ich habe mir Symbole gesucht, die auf Verschiedenes verweisen sollen. Zum Einen auf die Elementen wie Wasser oder Feuer, genauso wie auf Materialien wie Gold und verschiedene chemischen Substanzen. Dann wiederum auf Motive und Gegenstände, die auf das Arbeiten in der Dunkelkammer hinweisen. Zusammengehalten wird das Ganze durch eine extreme Farbigkeit, die ich im analogen Entwicklungsprozess entstehen lasse, und die das Artifizielle der Bilder hervorheben soll. Letztendlich versuche ich, die Grenzen der analogen Fotografie auszuloten. Wie weit kann ich pushen? Wie weit kann ich das Bild an sich nachträglich beeinflussen?


Gerade, weil nicht viele Künstler und Künstlerinnen so arbeiten wie Sie, kann die Nachfrage nach den nötigen Materialien mehr nicht besonders groß sein. Wie sieht es da mit dem Zugang aus?
Das analoge Arbeiten im Labor wird immer schwieriger und teurer. Digitalfotos sind ja praktisch umsonst. Kodak hat schon vor sechs Jahren aufgehört, Fotopapier für den Laborgebrauch zu entwickeln, nur Fuji bringt noch Papier auf den Markt. Analoge Filme kann man noch immer gut kaufen, viele Fotografen und Fotografinnen nutzen daher auch vermehrt einen hybriden Workflow. Das heißt, sie fotografieren auf analogem Filmmaterial, scannen die Negative ein und nutzen die Bilder dann digital. Es gibt dabei aber keine Auswertung der Bilder im Labor. Ich persönlich entwickle und printe meine Bilder alle in meiner Dunkelkammer hier im Prenzlauer Berg in Berlin. Für “The Alchemy of Colour” musste ich mir die letzten Rollen Fotopapier auf Ebay zusammensuchen. Die Firmen geben da nach und nach auf. Ich frage mich oft, wie lange das noch so produziert wird.


Befürchten Sie, dass Sie Ihrer Arbeit bald nicht mehr in der Form nachgehen können?
Ein bisschen. Ich nutze die analoge Fotografie, solange es noch möglich ist. Das klingt vielleicht etwas kitschig, aber meine Arbeiten handeln ja auf eine gewisse Art und Weise von einem “Abschied”, teilweise auf eine sehr morbide Art und Weise. Nicht zufällig wird die Dunkelkammer in meinen Arbeiten auch zum Ort der Séance, in dem Geister die Möglichkeit bekommen, zurückzukehren, um mit den Lebenden in Kontakt zu treten.Ich bin eher pessimistisch eingestellt, was die Zukunft des Fotolabors betrifft, auch weil es kaum mehr Technikerinnen oder techniker gibt, die die benötigten Maschinen herstellen, beziehungsweise sich damit auskennen.


Wäre ein hybrides Arbeiten ohne den Umweg über das Labor auch eine Möglichkeit?
Für mich nicht.


Warum nicht?
Im Prozess am Bildschirm habe ich es nie wirklich geschafft, meine gewünschte Ästhetik zu finden. Ich kann meine digitalen Bilder bearbeiten, klar, aber ich habe nie eine befriedigende Technik gefunden, wie ich meine eingescannten Bilder in die Richtung bringen kann, wie ich es analog im Labor tue. Das tolle am analogen Arbeiten ist für mich – vielleicht ist es auch eine kleine Faulheit von mir –, dass man mit wenigen Parametern arbeitet. Es gibt ein kleines Koordinatensystem bestehend aus Farbe, Helligkeit und Größe, in dessen Rahmen man im Labor Bilder bearbeiten kann, alles ist sehr überschaubar. Das hilft mir, Ordnung im Kopf zu bekommen, weil man das Bild nur bis zu einem bestimmten Punkt beeinflussen kann. Das limitiert den Prozess auf eine angenehme Weise. Dazu kommt, dass man mit einem analogen Film im Allgemeinen weniger fotografiert. So vermeidet sich von allein ein Bildüberschuss. Der Vorteil ist, dass ich mich deshalb bei einem reduziertem Ausgangsmaterial mehr auf das Motiv an sich konzentrieren kann.

Gibt es eine Community an Analog-Fans in der Fotografie?
Als ich vor zwölf Jahren in meiner Laborgruppe Mitglied wurde, war dort nicht viel los. Vereinzelt haben ein, zwei Leute geprintet. Das hat sich in den vergangenen fünf Jahren geändert. Immer mehr Fotografen und Fotografinnen arbeiten neuerdings wieder analog. Aus meiner persönlichen Sicht kommen sie vermehrt aus der Modefotografie und nutzen den analogen Look. Teilweise wird zum Beispiel der Kontaktbogen als Stilmittel genutzt, um darauf hinzuweisen, dass die Bilder analog entstanden sind. Das ist meiner Meinung nach aber keine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Medium, sondern eher eine ästhetische Wahl. Nicht falsch verstehen: Das Revival finde ich total super. Trotzdem bleibe ich pessimistisch, dass diese Arbeitsweise Bestand hat. Man merkt aber, dass die Leute Lust haben, das analoge Fotografieren wieder auszuprobieren.


Haben Sie eine Theorie, warum die analoge Fotografie wieder so viel Anklang findet?
Vielleicht ist es der Nostalgie-Faktor. Analoge Fotografie fühlt sich wohlig und vertraut an. Vielleicht wollen sich manche auch vom “normalen digitalen Look” absetzen. Vielleicht ist es aber auch das handwerkliche Arbeiten, verbunden mit einer 90er-Jahre-Revival-Ästhetik. Der weitaus größte Teil der Bilder die uns heutzutage umgeben, ist digital. Das digitale Bild ist somit das Bild der Marktwirtschaft. Man könnte sagen: das Bild des Kapitalismus. Das Analoge ist privat, entschleunigt, wohlig und strahlt im Gegensatz zum “kalten” digitalem Bild eine angenehme Wärme aus. Die analoge Fotografie lässt Unvorhersehbares passieren und hat etwas Unschuldiges zurückbekommen, ein bisschen vielleicht wie eine Großmutter, die einen gern in den Arm nimmt.


Das ist jetzt eher ein körperlicher als ein visueller Vergleich. Mit Absicht?

Die analoge Fotografie ist auch das Medium der Haptik. Nach einem Tag im Labor komme ich mit physischen Bildern nach Hause und denke: Wow, das habe ich jetzt in der Hand – ein ganz anderes Gefühl, ein Bild wahrzunehmen. Man kann etwas Unvorhersehbares passieren lassen. Was man aber auch bedenken muss, ist, dass der digitale Print den analogen Abzug von der Halbwertszeit her abgelöst hat. Moderne, digitale Farbprints halten bis zu 200 Jahre, analoge verfallen bereits nach 30 Jahren. Aus dem archivarischen Aspekt ist das natürlich schwierig, die Endlichkeit des analogen Materials hat aber auch eine gewisse Aura.


Wie relevant ist Ihrer Meinung nach die analoge Fotografie?
Schwierig. Relevant ist sie, würde ich sagen, gleichbleibend mit der digitalen Fotografie. Wer aus einer künstlerischen Perspektive bewusst analog arbeitet, wie man auch in der Ausstellung in Leipzig sieht, reflektiert das Medium Fotografie an sich. Alle Arbeiten erzählen etwas über eine fotografische Arbeitsweise. Es tauchen fotografische Zitate auf, oder es gibt einen Blick zurück auf den Ursprung der Fotografie, um deren Zukunft zu verstehen.


Wird die Analogfotografie aussterben oder, ähnlich wie beispielsweise Vinyl-Tonträger, ein Revival erleben?
Die Frage hätte ich vor zehn Jahren auf jeden Fall mit “stirbt aus” beantwortet. Mittlerweile schwanke ich etwas. Derzeit ist die analoge Fotografie überall wieder sichtbar. Ich weiß nicht genau, ob sie als Trend oder als hybrides Mischwesen in den nächsten Jahren überlebt. Ich gehöre zu der Generation von Fotografen und Fotografinnen, die in der Hochschule noch beide Techniken gelehrt bekommen hat. Zwangsläufig reflektieren wir das als Künstlerinnen und Künstler. Wer soll es sonst machen, wenn nicht wir? Ich denke, irgendwann ist die Geschichte der analogen Fotografie jedoch auserzählt. Die Fotografie löst sich aktuell in viele neue Richtungen auf. In das Bewegtbild, in all die unzähligen Handybilder oder in Bilder, die ganz von künstlichen Intelligenzen geschaffen werden. Der Bilderkosmos vergrößert sich immens. Was wir als Bild, beziehungsweise als “echte” Fotografie bezeichnen, wird immer unklarer. Das analoge Bild, so wie wir es bis zur letzten Jahrhundertwende gekannt haben, wird zwangsläufig irgendwann ein Teil der Mediengeschichte sein.

Interview by Shirin Friedhoff, 2022 for Monopol